MICHAEL BUCHINGERS UNTERSTE SCHUBLADE #3 | FAUX FOX Magazine

MICHAEL BUCHINGERS UNTERSTE SCHUBLADE #3

08.11.13
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Das verflixte 17. Jahr

Ich war nie ein cooles Kind. Während andere Jugendliche in meinem Alter bereits bis frühmorgens um die Häuser zogen und man unter vorgehaltener Hand auch schon über vereinzelte Teenager-Schwangerschaften munkelte, waren es vielmehr panische Google-Suchen der Sorte „Wann wächst mir Schambehaarung?“, die mir schlaflose Nächte bereiteten. Von anderen als „zu artig zum Partymachen“ abgestempelt, verbrachte ich selbst den Abend meines 16. Geburtstags damit, mir bis in die frühen Morgenstunden ein Best Of meiner aufgezeichnete Folgen von „Richterin Barbara Salesch“ anzusehen und danach ruhigen Gewissens einzuschlafen, während ich lächelnd „Gerechtigkeit siegt…“ flüsterte.

Ähnlich wie meine Altersgenossen im Pausenhof freudig zu berichten wussten, sie hätten zwar keine Erinnerung an das vergangene Wochenende mehr, wären aber ohne Unterbekleidung und mit fragwürdigen Bissspuren aufgewacht, war ich wiederum furchtbar stolz darauf, selbst nach meinem 16. Geburtstag weder sonderlich viel getrunken, noch geraucht zu haben. Man möchte meinen, meine Eltern wären über mein artiges Verhalten erfreut gewesen, doch ganz im Gegenteil: Da ich das jüngste dreier relativ rebellischer Kinder bin, führte mein für Jugendliche eher untypisches Benehmen zu Verwirrung im Hause Buchinger. Was war nur schief gelaufen? Warum wollte ich meine pubertären Sorgen nicht in Alkohol ertränken, wie alle anderen, normalen Kinder? Immer öfter bekam ich subtile Vorschläge seitens meiner Eltern zu hören – „Michael, möchtest du nicht vielleicht mal ausgehen? Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest, uns stört das nicht!“ (Insgeheim vermute ich, dass in meiner Abwesenheit eine ausgelassene Nachbarschafts-Orgie in unserem Haus gefeiert werden sollte, aber mir fehlen die Beweise dafür). Aber nein, ich wollte nicht.

Im Laufe meines 17. Lebensjahrs sollte sich an dieser Einstellung nichts ändern. Zwar war es Freunden vereinzelt bereits gelungen, mich auf Geburtstagsfeste und andere Partys mitzuschleppen, jedoch brachten diese mich einzig und allein zu der Erkenntnis, dass ich andere Menschen – insbesondere betrunkene Gleichaltrige – hasste: Hier fand ich mich inmitten reizüberfluteter Teenies wieder, die einander furchtbar auf die Nerven gingen, ihren Frust in Alkohol ertränkten und daher ab 1 Uhr morgens entweder in eine Ecke kotzten, schwarze Mascara-Tränen weinten oder einander auf ekelhafte Weise küssten. Auf diesem Wege kam ich zu einer Erkenntnis, die Oprah wohl liebevoll einen „Aha-Moment“ nennen würde (bevor sie wie eine Verrückte anfängt, jeder einzelnen Person im Publikum schreiend ein Auto zu schenken): Obwohl es den Anschein machte, als würden Jugendliche trinken, um offener und lustiger zu werden, griffen sie wohl großteils eher zur Flasche, damit ihre Mitmenschen unterhaltsamer oder wenigstens annähernd erträglich wurden. Dies konnte ich nur zu gut nachempfinden und begann auf der Stelle eine Liebesaffäre mit Alkohol, die seitdem kein Ende mehr nehmen möchte. Und tatsächlich: spätestens nach dem dritten Wodka-Shot fand ich selbst die Erzählungen meiner leicht anstrengenden, Pferde-fanatischen Ausgeh-Kumpanin Andrea „sehr interessant“, wollte mehr über „die faszinierende Welt der Ponypflege“ wissen und legte ihr in einem meiner diabolischeren Momente sogar ans Herz, sich unbedingt „Der Pate“ anzusehen, weil jener Film über eine „entzückende Pferdeszene“ verfügte.

Schließlich kam es, wie es kommen musste: Andrea lud zum Feste, um ihren 17. Geburtstag zu feiern. Die Einladung versprach ein lustige Nacht unter Freunden, mit fröglichen Partyspielen, die laut meiner Freundin „zum Wiehern“ waren. Ich verdrehte die Augen und begann sicherheitshalber schon einmal, meinen Flachmann für den Abend aufzufüllen. Binnen der letzten paar Monate war ich aus Aufholbedarf nämlich routinierter Alkoholiker geworden und beherrschte alle Tricks, die es zu beherrschen galt: Wenn ich alle paar Wochen mal genug von Richterin Salesch hatte und doch mal fortging, machte ich mich mit leerem Magen auf den Weg zum Vortrinken mit meinen Freunden. War ein gewisser Alkoholspiegel erreicht, so würde ich mich auf jede noch so langweilige Party begeben und wahlweise vorgeben, entweder meinen Geburtstag zu feiern oder verwirrter Ungar zu sein, weil beide Szenarien haufenweise Einladungen auf alkoholische Getränke garantieren. Es kam mir beinahe also so vor, als hätte ich in den vergangenen Monaten nur für jenen bevorstehenden Abend trainiert: Wäre „Langweiliges Fortgehen im Burgenland“ ein Computer-Spiel, so würde der lustige Pferde-Abend bei Andrea definitiv den unmöglich zu besiegenden Endgegner darstellen. Und ich war bereit!

Mehr als nur „leicht angeheitert“ torkelte ich also in die Bar, die meine Freundin für diesen feierlichen Anlass gemietet hatte und bekam von der Gastgeberin sofort einen Partyhut auf mein Haupt gesetzt, sowie einen Cocktail in die Hand gedrückt. Heiter machte ich eine Runde durchs Lokal, um die übrige Partycrowd – eben jene Menschen, die mich vor Monaten noch als „zu artig zum Partymachen“ abgestempelt hatten – zu begrüßen. Sicher würden sie anhand meiner guten Laune endlich einsehen, dass ich nicht nur ein geübter Trinker, sondern auch ein Typ war, mit dem man – entschuldigt mein Wortspiel – Pferde stehlen konnte und mich aufgrund dieser freudigen Erkenntnis wie bei einer jüdischen Hochzeit auf einem Stuhl singend durchs ganze Lokal tragen. Doch anstatt ihrer Bewunderung kundzutun, hatte meine Klassenkameraden allen Ernstes Sorge um mich. „Michael, du wirkst so blass!“ – „Geht es dir gut?“ – „Trink lieber ein Glas Wasser!“ waren die letzten Zurufe, die ich wahrnehmen konnte, bevor ich mich mitten in die Bar übergeben musste. Über allem, was danach geschah, liegt ein dunkler Schleier der Ungewissheit, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Andrea gleich im Anschluss – und nachdem sie laut „Fun Fact!“ gerufen hatte – preisgab, dass Pferde und Ratten die einzigen Tiere waren, die sich nicht übergeben konnten.

Am nächsten Morgen erwartete mich das Unheil. Nachdem ich feststellen musste, dass ich nicht nur ohne Unterwäsche, sondern auch neben einem mit mysteriösen Flüssigkeiten gefüllten Eimer aufgewacht war, musste ich meiner Mutter zunächst einige einschneidende Fragen zum Vorabend beantworten. Während ich mit schamvoller Miene am Frühstückstisch saß und stotternd nach Ausreden à la „Ich habe einen schlechten Kebap gegessen…“ fischte, musterte sie mich mich kritisch über ihren Brillenrand, wie es Richterin Barbara Salesch auch immer tut, wenn sie weiß, dass ein Zeuge nicht die Wahrheit sagt, und ihn daher mahnend daran erinnern muss, dass er unter Eid steht. Nein, wenn mir Gerichtssendungen eines gelehrt hatten, dann, dass Gerechtigkeit immer siegt und Lügen stets kurze Beine haben. „Ich war auf einer langweiligen Party und habe mich daher fürchterlich betrunken!“, gestand ich daher und wartete eigentlich darauf, mit verdientem Hausarrest bestraft zu werden. Stattdessen konnte sich meine Mutter ein lautes Lachen nicht verkneifen: „Wurde aber auch Zeit!“

(Michael Buchinger – und auf YouTube)

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