“Die Affäre Rue de Lourcine” im Burgtheater | FAUX FOX Magazine

“Die Affäre Rue de Lourcine” im Burgtheater

14.07.15
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Vor Kurzem war es wieder einmal Zeit für einen Besuch im Burgtheater. Das ursprüngliche Stück von Elfriede Jelinek „Die Schutzbefohlenen“ musste aufgrund von Krankheit leider abgesagt werden. Darüber war man zuerst natürlich traurig, diese Trauer war allerdings nur von kurzer Dauer. Grund dafür war das ausgezeichnete Ersatzprogramm.

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alle Fotos ©  Reinhard Werner

Dieses hieß „Die Affäre Rue de Lourcine“ und wurde 1857 von Eugène Labiche kreiert. Unter der Regie von Barbara Frey wurde ein Stück an das Publikum herangebracht, dessen Ausgangssituation und Hauptdrehpunkt jedem bekannt sein dürfte. Im Grunde handelt es sich um den klassischen Filmriss und alle Nebenwirkungen, die eben dieser so mit sich bringt: Kopfschmerzen, Katerstimmung und das Verlieren der Hose sowie sämtlicher Erinnerungen ab der Vorspeise. Jetzt geht es darum, die schwarzen Stellen im Gedächtnis zu durchleuchten und den Abend bzw. die Nacht zu rekonstruieren. Diese schwere Aufgabe gebührt dem wohlhabenden Rentier Lenglumé, der besagten Filmriss einem Ehemaligentreff seines Jugendinternats zu verdanken hat. Auch der schnarchende Mann, der sich in seinem Bett befindet und später als alter Schulkamerad namens Mistingue entpuppt, dürfte dieser Nacht entsprungen sein.

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Als Lenglumés Gattin Norine einen Bericht aus der Zeitung vorliest, der von einem Mord an einer jungen Kohlenschlepperin in der vergangenen Nacht erzählt, kommen die beiden Männer – die Sakkotaschen voller Kohle – zu dem Schluss, im Rauschzustand einen grausamen Mord begangen zu haben. Zusätzliche Mordindizien wie ein Damenschuh und eine verheißungsvolle blonde Locke finden sich im weiteren Ablauf des Stückes. Die beiden Herren versuchen fortan, Beweismaterial – so gut es in ihrem schwankenden Zustand geht – zu vernichten. Auch die Belastungszeugen Potard und Justin sollen dran glauben. Die Reinhaltung der bürgerlichen Fassade ist oberste Priorität.

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Und genau darum ging es Labiche auch, er zeigt auf, welche Abgründe sich hinter dieser sauberen, spießigen Kulisse auftun können. Schön verpackt, mit viel Charme, Humor auf hohem Niveau und einer ausgezeichneten Besetzung a là Nicholas Ofczarek und Michael Maertens, die ihre Rolle als verkaterte Mittfünfziger im Zeitlupen-Modus mehr als überzeugend spielen.
Übersetzt wurde das Stück übrigens von niemand geringeren als Elfriede Jelinek, die zusätzlich jede Menge Lebensweisheiten und bitterböse Gesellschaftskritik miteinander vermischt. Gepaart mit der Regiearbeit Freys, die Elemente des absurden Theaters aufgreift und eine teils unheimliche Atmosphäre erzeugt, als Beispiel sei hier ein riesiger Haufen Müllsäcke in der Ecke der Bühne genannt, dessen Existenz bis zum Schuss nicht geklärt wird und dadurch zu einer noch stärker wirkenden Inszenierung führt. Hinter jeder Tür lauert das Ungewisse. Gewiss ist jedoch, dass „Die Affäre Rue de Lourcine“ weit mehr ist als ein Ersatzprogramm. Und Elfriede Jelinek in beiden Positionen – Regie oder Übersetzung – überzeugt.

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Redakteur: Alexius Ivo Baldissera